Mies van der Rohe, Ludwig — Verseidag Färberei- und HE-Gebäude

Details

Adresse Girmesgath 5
Baujahr 1930/31 und 35
Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886−1969)
Auftraggeberin Vereinigte Seidenwebereien AG (Verseidag)
Heutige Nutzung Büros, Ausstellungen, Veranstaltungen

Färberei- und HE-Gebäude 2021
Färberei- und HE-Gebäude um 1950 (Architekturbüro K.H. Eick)
Färberei- und HE Gebäude mit originalem Verbindungsgang 1931
Färberei- und HE-Gebäude 2021
Färberei- und HE-Gebäude 2021
Färberei- und HE Gebäude mit originalem Verbindungsgang 1931
Färberei- und HE-Gebäude um 1950 (Architekturbüro K.H. Eick)
Färberei- und HE-Gebäude 2021

Der einzige Industriebau von Ludwig Mies van der Rohe verdeutlicht nicht nur die Verbindung der Verseidag mit der gestalterischen Avantgarde seit Mitte der 1920er-Jahre. Als eines von zehn Projekten, die Mies für Vertreter der Seidenindustrie und ihren Branchenverband  ausführte, steht es zugleich für die ungewöhnliche Hinwendung der ganzen Branche zur Avantgarde und ihrer „Nutzbarmachung“ für Lehre, Design und Architektur.

Mitte der 1920er-Jahre hatte die Verseidag begonnen, ihr Betätigungsfeld von der Stoffproduktion auf die Textilveredlung zu erweitern. Mit der Planung des Komplexes auf dem Gelände an der Girmesgath beauftragte der Vorstand zunächst die hauseigene Bauabteilung. Der Entwurf überzeugte jedoch nicht, sodass Mies 1930 hinzugezogen wurde. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Projekte für den in Krefeld ansässigen Verband der Seidenindustrie sowie die Wohnhäuser für die Vorstandsmitglieder der Verseidag, Hermann Lange und Josef Esters erfolgreich abgeschlossen. Er genoss das Vertrauen der Seidenfabrikanten. 

Mies übernahm von der Vorplanung die Komposition aus länglichem Geschossbau mit Shedhallen: Im Geschossbau sollten Lager und Versand von Herrenfutterstoffen (HE) untergebracht werden, in der angebundenen Shedhalle die Färberei. Auf einem verklinkerten Gebäudesockel erhebt sich der Stahlskelettbau mit Flachdach und großen Sprossenfenstern des Stahlfensterherstellers Fenestra-Crittall. Davon sind fünf im Original erhalten: im Erdgeschoss am nördlichen Ende des HE-Gebäudes sind sie an den schmalen Stegen leicht zu erkennen. Sie waren außen grau-schwarz gefasst, innen in gedecktem Weiß gestrichen. Die lichtdurchfluteten Räume erfüllen den Anspruch des Neuen Bauens auf gesunde und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Die 60 Meter lange Seitenfront rhythmisierte Mies durch Fallrohre, die die Fenster zu Gruppen 1-2-3-2-1 zusammenfassen.

Der dezente Hauptzugang befindet sich an der Schmalseite. Durch ihn gelangt man in das zentrale Treppenhaus, dessen Stufen in scharriertem Gussstein ausgeführt wurden. Es ist vollständig mit grau verfugtem Bockhorner Klinker ausgekleidet, den Mies auch bei den Häusern Lange und Esters  verwendet hatte, dort jedoch für die Außenhaut der Gebäude. Bis auf die Höhe des Treppengeländers, das den heutigen Sicherheitsanforderungen angepasst wurde, befindet sich das Treppenhaus im Originalzustand.

Seitlich schließt die Laderampe mit Kragdach und Klinkerverkleidung an der Innenseite an, die zur Shedhalle mit putzsichtiger Fassade, verklinkertem Sockel und Fensterbändern überleitet. Nicht dem originalen Zustand entsprechen die vor einigen Jahren eingefügten großen Fenster auf der Rückseite der Halle.

Am Färberei- und HE-Gebäude entwickelte Mies einen Formenkanon, auf den die Bauabteilung der Verseidag bei allen ergänzenden Bauten, die in den folgenden Jahren realisiert wurden, zurückgriff: die Pförtnerloge, die Schlichterei und die Filmdruckerei. Seit 1934 wirkte hier auch der Bauhausabsolvent Erich Holthoff. Der Uhrenturm mit Verbindungsgang zum HE-Gebäude entsprang einem Alleingang der Bauabteilung und soll Mies’ Missfallen erregt haben.

Dass Mies auch auf die räumliche Gliederung des Areals Einfluss genommen hat, ist nicht belegt, aber wahrscheinlich. Die lockere Verteilung der Bauten nimmt das Konzept des IIT-Campus (Illinois Institute of Technology, Chicago) vorweg, welches Mies nach seiner Übersiedlung in die USA in den 1940er-Jahren entwickelte.1Christiane Lange, Bauhaus nützlich. Die Avantgarde im Auftrag der Seidenindustrie, in: Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019, S. 64–732Norbert Hanenberg/Daniel Lohmann, Mies van der Rohes Verseidag. Neue Erkenntnisse zu Baugeschichte und Erhalt, in: WalterBuschmann (Hg.), Industriekultur. Krefeld und der Niederrhein, Essen 2017, S. 1733Hans-Peter Schwanke, Architekturführer Krefeld, Krefeld 1996, Nr. 89

Färberei- und HE-Gebäude 1940er-Jahre (Architekturbüro K.H.Eick)
Shedhalle 2021
Treppenhaus HE-Gebäude (Foto Kristien Daem 2010)