Vereinigte Seidenwebereien AG / Verseidag

Verseidag Hauptverwaltung um 1960 (Architekturbüro K.H. Eick)

Die 1920 gegründete Vereinigte Seidenwebereien Aktiengesellschaft, kurz Verseidag, war nicht nur einer der größten deutschen Hersteller von Seidenstoffen, sondern auch ein Vorreiter in Textildesign und Industriearchitektur.

Es war eine große wirtschaftliche Krise, die eine Anzahl von niederrheinischen Seidenweberei-Unternehmen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs dazu bewegte, sich 1919 zu einer Interessensgemeinschaft und 1920 zu einer AG zusammenzuschließen: Deuß & Oetker in Schiefbahn, Gebrüder Esters in Süchteln, Carl Lange in Anrath und Krefeld , Kniffler-Siegfried in Krefeld. 1921 stieß die Firma Ernst Engländer dazu, die außer in Krefeld vor allem in Thüringen Betriebsstätten unterhielt; 1922 schloss sich die Firma Richard Pastor & Co. an. In den folgenden Jahren erweiterte sich der Zusammenschluss um Beitritte und zahlreiche Firmenzukäufe. Bis in die Mitte der 1920er-Jahre entwickelte sich die Verseidag zum Weltmarktführer bei der Produktion von Krawattenstoffen. In dieser Zeit bemühte sie sich intensiv um die Verbesserung der gestalterischen Ausbildung. Sogar die Anbindung des Bauhauses, der avantgardistischsten Gestalterschule der Zeit, an die Verseidag wurde erwogen, als das Bauhaus, in Weimar politisch bedrängt, eine neue Bleibe suchte (und dann in Dessau fand).

Als seit 1931 mit der Schule für Flächenkunst und Johannes Itten als ihrem Leiter die Reformierung der Gestalter-Ausbildung institutionalisiert war, wurde die Verseidag ein wichtiger Arbeitgeber der Absolventen dieser Schule.

Ebenfalls Mitte der 1920er-Jahre entschlossen sich die in der Verseidag zusammengeführten, jedoch weiterhin selbstständig agierenden Unternehmen, ihre Produktion um einen Ausrüstungs- bzw. Veredelungsbetrieb zu erweitern und dafür eine neue Betriebsstätte zu errichten. An der Girmesgath entstanden in den folgenden Jahren die Gebäude für die Färbung, Veredelung und Weiterverarbeitung von Seiden- und Kunstseidenstoffen nach den Plänen Ludwig Mies van der Rohes (Färberei- und HE-Gebäude, Uhrenturm, Pförtnerloge, Schlichterei, und Filmdruckerei). Im Zuge dieser Erweiterung war auch die Errichtung einer neuen Firmenzentrale vorgesehen, die bis dahin ihren Sitz in der ehemaligen Zentrale von Deuß & Oetker auf der Gartenstraße hatte. Den Planungsauftrag erhielt Mies jedoch erst 1937. Die wirtschaftlichen Veränderungen, die mit der deutschen militärischen Hochrüstung seit Mitte der 1930er-Jahre zusammenhingen, machten die Ausführung jedoch unmöglich. Die neue Verseidag-Hauptverwaltung wurde erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet – nach den Plänen von Egon Eiermann.

Seit den 1970er-Jahren geriet auch die Verseidag in den verschärften Strukturwandel, der die Textilindustrie in Deutschland und weltweit ergriffen hatte. Bis in die 1990er-Jahre wandelte sie sich von einem reinen Textilunternehmen zu einem Finanzkonzern mit angeschlossener Produktion von technischen Textilien. Teile von ihr wurden zunächst von einem niederländischen Konzern und schließlich von einer Krefelder Managementholding erworben.1Stephan Strauß, Wirtschaftsbürgerliches Wohnen in Krefeld 1900–1940. Die Vielfalt der Moderne, in: Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019, S. 277–2822Stefanie van de Kerkhof, Deutsche Seide in Krieg und Krisen. Der Verein deutscher Seidenwebereien als ökonomischer Motor für Innovationen 1910–1960, in: Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019, S. 156–187