Mies van der Rohe, Ludwig — Haus Hermann Lange, Haus Josef Esters

Details

Adresse Wilhelmshofallee 91-97
Baujahr 1927-1930
Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969)
Auftraggeber Hermann Lange (1874-1942), Josef Esters (1884–1966)
Heutige Nutzung Seit 1955 bzw. 1981 Ausstellungsgebäude der Kunstmuseen Krefeld

Haus Esters, Haus Lange Straßenfassaden (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Lange Gartenfassade (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Lange Ostfassade mit Wirtschaftshof (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Esters, Ansicht von Westen (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Esters, Haus Lange Straßenfassaden (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Lange Ostfassade mit Wirtschaftshof (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Lange Gartenfassade (Foto: Kristien Daem 2011)
Haus Esters, Ansicht von Westen (Foto: Kristien Daem 2011)

Hermann Lange und Josef Esters, Seidenfabrikanten, Kunstsammler und Begründer der Verseidag, hatten 1927 den damals nur Kennern geläufigen Architekten Ludwig Mies van der Rohe mit der Planung ihrer Wohnhäuser beauftragt. Das Projekt stand am Anfang einer elfjährigen Zusammenarbeit der Seidenindustrie mit Mies van der Rohe und seiner Partnerin Lilly Reich. Bereits 1932 wurde Haus Lange in der Maßstäbe setzenden Publikation The International Style von Philip Johnson und Henry-Russell Hitchcock abgebildet und war in der parallel dazu gezeigten Schau Modern Architecture im Museum of Modern Art in New York zu sehen.

Die Häuser sind in vielerlei Hinsicht besonders: Ihr Architekt zählt in der westlichen Welt zu den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Sie repräsentieren zusammen mit den Bauten der Verseidag ein Drittel seines gebauten und erhaltenen europäischen Œuvres. Und sie haben in ihrem zweiten Leben als Orte der Kunst Geschichte geschrieben. Aber sie sind auch Ausdruck der besonderen Freundschaft zwischen Esters und Lange. Wirtschaftsbürgerliche Privathäuser sind immer auch ein persönliches Statement und dienen der Selbstdarstellung. Es überrascht deshalb, dass Lange, Esters und ihre Familien wohl nicht das Bedürfnis hatten, sich voneinander abzugrenzen oder sich zu überragen, sondern sich zwillingshafte Häuser schufen, in denen sogar das von Mies und Reich entworfene Mobiliar für den Essbereich identisch war.

Rundgang außen: Straßenfassaden
Die Häuser weisen eine ähnliche, aber nicht gleiche kubische Komposition auf: Die zweigeschossigen Bauten sind zur Straßenseite hin blockhaft geschlossen. Bockhorner Klinker wird vollflächig verwendet und ist ohne Sockel und ohne Rollschicht über den Fenstern verarbeitet. So wirken die Fensteröffnungen wie Einschnitte, in die die Stahlfenster von Fenestra-Crittall eingefügt sind. Auf der Straßenseite fallen besonders die in Makassar-Holz ausgeführten Türen auf, bei Esters versetzt, bei Lange nebeneinander positioniert, beide jeweils mit einem minimalen Unterschied in der Breite, um Haupt- und Nebeneingang zu unterscheiden. Haus Lange kennzeichnet zudem ein schmales zurückgesetztes Fensterband, das dazu diente, die Bäder der ersten Etage zu belichten.

Hof- und Gartenfassade und Garten
Der Gang in den Garten führt über den Wirtschaftshof mit Garagenzufahrt. Er verdeutlicht die vielfältigen Ansichten der Häuser: Die betont horizontale Silhouette der Straßenfassade wechselt zu einer fabrikmäßigen, dreigeschossigen Ansicht. Auf der Gartenseite der Gebäude entpuppen sich die blockhaften Flächen der Straßenseiten überraschend als Scheinarchitektur. Hinter ihnen verbergen sich offene Loggien, halb Innen- und halb Außenräume und die Terrasse. Hier verwendet Mies erstmals eine frei stehende Stütze. In späteren Bauten avancieren sie zu einem eigenständigen Gestaltungselement, wie beim Barcelona-Pavillon.

Die Häuser sind auf einer Geländeterrasse platziert. Das war der Topografie des ehemals sumpfigen Geländes geschuldet, entsprach aber gleichzeitig einem klassischen Kompositionsmuster, das Mies immer wieder anwendete; es wird auf den von ihm bewunderten Baumeister Karl Friedrich Schinkel zurückgeführt.

Der hausnahe Außenbereich war als Rosengarten angelegt. Über Treppen gelangt man in den Landschaftsgarten. Familie Lange betrieb auf dem heute abgetrennten Grundstück im Westen des Hauses einen großen Nutzgarten für Obst und Gemüse. Mies’ Büro hatte das gläserne Gewächshaus geplant, das durch eine Luftmine zerstört wurde. Nur der verklinkerte Technikraum, ein kubisches Gebäude, ist im Nachbargarten noch erhalten. Familie Esters hatte bereits 1923 ein Fertighaus der Deutschen Werkstätten auf ihrem Grundstück errichtet, das sie bis zum Baubeginn als Wochenendhaus nutzte. Es ist erhalten und dient gelegentlich als Café.

Wohnbereiche
In beiden Häusern gelangt man durch den Eingangsbereich mit Garderobe und WC zuerst in eine große Halle, der Empfangsbereich für Besuche. Bei Lange dominieren Bilder und Skulpturen den Raum, wie eine alte Aufnahme zeigt. Zudem befand sich eine Orgel zwischen den beiden Türen auf der westliche Seite, die von Mary Lange gespielt wurde, aber mithilfe von Lochkarten auch alleine musizierte. Den zur Orgel gehörenden anschließenden Technikraum verwandelte Yves Klein 1961 in den „Raum der Leere“ (erhalten).

Bei Esters folgen von der Halle im Uhrzeigersinn das Speisezimmer, das Spielzimmer der Kinder und das Zimmer der Dame, die durch weite Falt- und Schiebetüren voneinander getrennt waren. Nur das Arbeitszimmer ging direkt von der Halle ab und hatte eine traditionelle Tür.

Im Haus Lange sind alle Räume von der Halle aus zugänglich: Das Esszimmer wurde von einer heute nicht mehr verwendeten demontierbaren Holzwand gegen die Halle abgegrenzt. Die Türen von Esszimmer und Zimmer der Dame liegen einander gegenüber. Wohnzimmer und Arbeitszimmer auf der Westseite sind heute zu einem Raum verbunden, sie waren ursprünglich jedoch durch ein Regal mit Schlupftür getrennt.

Der fließende Raum
Die Planung und Ausführung der Wohnbereiche der beiden Häuser weisen feine Unterschiede auf, die zentrale gestalterische Fragen berühren. Während im Haus Esters in allen Räumen Stahlfenster von Fenestra-Crittall zum Einsatz kamen – eine Spezialanfertigung, die es ermöglichte, die Fensterflügel um 180 Grad zu öffnen – wurden im Haus Lange zum Garten hin große ungeteilte Bronze-Fenster mit niedriger Brüstung eingesetzt. Sie konnten mithilfe eines Motors vollständig versenkt werden. Mies schenkte den Übergängen vom Innen- zum Außenbereich besondere Aufmerksamkeit. Die weiten Fensteröffnungen holten die umgebende Natur wie ein Bild in den Raum. Im geöffneten Zustand wurde der Raum wiederum Teil des Außenbereichs, wie eine Loggia. Mies schlug seinen Bauherren diese neuartige Fensterlösung vor, als die Statik schon berechnet war und deswegen erneuert werden musste; Lange setzte sie trotzdem um, Esters lehnte jedoch ab.

Haus Esters, Halle 1931 (Foto: Berliner Bildbericht)
Haus Lange, Halle 1930 (Foto: Berliner Bild-Bericht, Nachlass Fam. Lange)
Haus Esters, Esszimmer mit Möbeln von Mies van der Rohe und Lilly Reich (Nachlass Fam. Esters)
Haus Lange, Zimmer der Dame 1931 (Berliner Bildbericht)

Eine der treibenden Ideen, die Mies zu jener Zeit beschäftigte, war die Neuformulierung von Raum als Kontinuum: Die einzelnen Funktionsbereiche des Wohnens sollten nicht mehr durch Türen und Wände begrenzt, sondern in einem Raumkontinuum durch Möbel definiert werden. In Haus Esters dienen die wandbreiten Schiebe- und Falttüranlagen dieser Idee, im Haus Lange die demontierbare Holzwand zwischen Halle und Esszimmer. Mies hatte kurz zuvor für seinen Wohnblock in der Weißenhofsiedlung flexible Holzwände entwickelt, die eine variable Nutzung ermöglichten. Sie fehlt heute leider dauerhaft und schafft so vom Eingang in den Garten einen direkten Durchblick, den Mies sicherlich zu vermeiden versucht hatte.

Obergeschoss
Die Schlafbereiche mit Bädern liegen bei beiden Häusern im Obergeschoss. Im Haus Lange fällt die niedrige Decke des Gangs zu den drei Kinderschlafzimmern auf, über dem das von außen sichtbare Fensterband für die Bäder liegt. Dass jedes Zimmer ein eigenes Bad hatte, ist dem Einfluss der Grandhotels geschuldet, die hier neue Standards setzten. Haus Lange hat darüber hinaus noch eine Dunkelkammer, die erhalten ist. Sie war für die jüngste Tochter von Hermann Lange eingerichtet worden, die später bei Johannes Itten in Berlin und Krefeld hospitierte.

Wirtschaftsbereich
Die Nebeneingänge der Häuser führen in die östlich gelegenen Wirtschaftstrakte. Hier befanden sich die Küchen mit großen achtflammigen Öfen, mit „Eisschränken“ für Eisblöcke, Arbeitstischen und einer Anrichte, alles nach Entwürfen des Büros von Mies van der Rohe ausgeführt (nur im Haus Lange erhalten). Im Keller waren Bügel- und Wäscheräume untergebracht. Im Haus Lange gab es darüber hinaus einen Lagerraum für Bilder, der durch einen Schlitz direkt mit dem Erdgeschoss verbunden war. Er fiel bald dem Einbau eines Luftschutzkellers zum Opfer. Die Privaträume der Mitarbeiter waren ebenfalls auf der Ostseite gelegen, im Obergeschoss.

Nutzungsgeschichte
Haus Lange wurde nur bis 1955 von der Familie Lange genutzt und anschließend der Stadt Krefeld als Ausstellungshaus leihweise, ab 1968 durch Schenkung zur Präsentation zeitgenössischer Kunst zur Verfügung gestellt. In den 1970er-Jahren erwarb die Stadt Krefeld auch das benachbarte Haus Esters von den Nachfahren der Familie. Das Ensemble wurde 1981 mit der Ausstellung Die Villen und Landhausprojekte von Mies van der Rohe eröffnet. (Lange 2007, S. 49–77; Lange 2011, S. 99–124)

Haus Lange (Foto: Kristien Daem 2011)