Biebricher, August

[1878–1932]

August Biebricher 1932 (StAKR 11710)
Architektenverein Krefeld 1920 v.l.: C.Hintschler, E. Bertrand, A. Stromenger, K.Schaffrath, P. Olzem, H. Oediger, H. Giersberg, M. Simons, A. Esch, H.A. Ostwald, F. Lorscheidt, P. Frank, A. Biebricher, L. Wilde, M. Sippel, K. Geilen (StAKR 13516)

Unter dem Titel Gediegene Bauten für geordnete Verhältnisse widmete das Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld 1982 August Biebricher bereits die zweite Museumsschau. Während die erste 1949 als gestalterische Empfehlung für den Wiederaufbau der Stadt zu deuten ist1Paul Wember, Kunst in Krefeld, Köln 1973, S. 29, erklärte sich die zweite als ein Zeichen der Notwehr. Sie ging auf eine Anregung von Krefelder Bürgern zurück: „Nach den Jahrzehnten der auch hier völlig gesichtslosen und stadtzerstörenden Bebauung regt sich seit einigen Jahren in manchen Teilen der Bevölkerung der Widerstand. Hierzu gehört auch die Besinnung auf die noch existierende ältere Bausubstanz sowie ihre Erhaltung. (…) ältere Bauten sind heute vielfach in einer Notwehrsituation.“2Julian Heynen, Der Architekt August Biebricher. Gediegene Bauten für geordnete Verhältnisse, Ausst.-Kat. Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld 1982 S. 3 f.

Biebricher gehört zu den bekanntesten Krefelder Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Eheschließung mit Anna Scheibler, Mitglied der Unternehmerfamilie Scheibler & Co. führte ihn in die Krefelder Gesellschaft ein. Aus dem Kreis der Seidenfabrikanten erhielt er zahlreiche Bauaufträge: Wohnhäuser für Walter von Scheven 1907, Familie von Beckerath und Paul Oetker 1912,  Gustav de Greiff 1913 und auch für Rudolf Oetker. Dessen weitläufiges Wohnhaus auf der Hohenzollerstraße entstand 1928 gleichzeitig mit den Mies-Bauten seiner Verseidag-Vorstandskollegen Lange und Esters. 1930 standen sich die beiden unterschiedlichen Architekten (und ihre Krefelder Auftraggeber Oetker und Lange) noch einmal gegenüber: Beim Wettbewerb für das Clubhaus des neu gegründeten Golfclubs auf dem Egelsberg. Mies schlug eine elegante eingeschossige Anlage mit kreuzförmigem Grundriss vor, Biebricher eine Komposition aus ein- und zweigeschossigen Quadern plus Rundbau mit zurückgesetzten Walmdächern, wie bei seiner Volksschule am Danziger Platz in Uerdingen. Der Wettbewerb wurde aufgrund der Folgen der Weltwirtschaftskrise nie entschieden.3Christiane Lange, Robbrecht en Daem, Mies 1:1. Ludwig Mies van der Rohe. Das Golfclub Projekt, Köln 2014

Für die Seidenweberei Deuß & Oetker, die dann schon Teil der Verseidag war, überarbeitete Biebricher 1924 auch eine Produktionsanlage im niederrheinischen Wachtendonk. Das im Stil eines Herrenhauses veränderte Verwaltungsgebäude ist erhalten.4Dieter Hangebruch, Die Vereinigte Seidenwebereien AG Krefeld (Verseidag), in: Der Niederrhein 72 (2005), Heft 2, S. 66–77, Heft 3, S. 130

Die Architektur Biebrichers und ihre Beliebtheit bei den Krefelder Unternehmern bis in die 1920er-Jahre bezeugt so Strauß, dass diese „gestalterische Strömung mit dem Neuen Bauen mitnichten zum Erliegen gekommen war, sondern vielmehr (…) in einem auch ideologisch aufgeladenen Streit um die Meinungs- und Deutungshoheit stand, was eine der Zeit angemessene Baukunst sein könne.“5Stephan Strauß, Wirtschaftsbürgerliches Wohnen in Krefeld 1900–1940. Die Vielfalt der Moderne, in: Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019,S. 283 Heynen formuliert es ähnlich: „Biebricher schafft eine gediegene Architektur für geordnete Verhältnisse. (…) Diese Wohnvorstellung füllt ein Vakuum zwischen historischem Protz und Neuem Bauen.“6Julian Heynen, Der Architekt August Biebricher. Gediegene Bauten für geordnete Verhältnisse, Ausst.-Kat. Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld 1982 S. 25

August Biebricher hatte an der Baugewerkschule Gießen sowie an der TH Darmstadt studiert und war u. a. kurze Zeit Atelierleiter bei Peter Behrens in Düsseldorf. Ab 1904 unterrichtete er an der neu gegründeten Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Krefeld Raumkunst bzw. Innendekoration. 1907 wurde er Mitglied des Deutschen Werkbunds. Für dessen erste große Ausstellung 1914 in Köln plante er Bauten für das dort eigens errichtete Niederrheinische Dorf. Neben den Bauten für die Seidenindustriellen prägen seine Bauten auf der Krefelder Galopprennbahn 1912/13, das heutigen Moltke-Gymnasiums 1912–1915 sowie seine Wohnhäuser für die belgischen Offiziere bis heute das Stadtbild.7Ruth Fannei, August Biebricher – Leben und Werk des Baumeisters 1878–1932, Dissertation, RWTH Aachen 1995, S. 81 f.8Christoph Dautermann, Auf dem Weg in die Moderne. Krefelder Architektur der 1920er-Jahre, Goch 2014, S. 24–26