Reich, Lilly

[1885–1947]

Lilly Reich 1920er-Jahre (BHA)

Lilly Reich zählt zu den bedeutendsten Designerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie war gelernte Kurbelstickerin, hatte aber bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit Einrichtungen auf sich aufmerksam gemacht. Sie engagierte sich früh im Deutschen Werkbund und gehörte als erste und lange einzige Frau zu dessen Vorstand. Seit 1922 war sie Mitglied seines Organisationsteams für regelmäßige Produktschauen. Ihre kompromisslose Auslese der Exponate war berüchtigt. „Lilly Reich
war gefürchtet, weil sie alles abgewimmelt hat, was nicht einwandfrei war. Sie war eine Persönlichkeit, die mit großer Konsequenz gegen alles angegangen ist, was unbedeutend war“, erinnert sich der Werkbund-Kollege und Produktgestalter Hans Warnecke. 

Obschon sie zwischen 1927 und 1937 in vielfältiger Weise für Krefelder Auftraggeber tätig war, sind nur einige Möbel aus diesen Aufträgen überliefert. Ihre Messearchitekturen für den Verband deutscher Seidenwebereien, die sie 1927, 1929 und 1937 teilweise gemeinsam mit Mies van der Rohe realisierte, waren temporäre Bauten, die Inneneinrichtungen für die Verseidag fielen einem Bombenangriff zum Opfer. Auch für die Familie von Hermann Lange  war sie über viele Jahre tätig, u. a. lieferte sie Einrichtungspläne für die Halle von Haus Lange, die jedoch nicht realisiert wurde.

1931 gelangte Lilly Reich in die engere Auswahl für die Leitung der Schule für Flächenkunst in Krefeld. Nach eigener Aussage lehnte ein Teil der Entscheider jedoch ab, das Amt einer Frau zu überantworten. Johannes Itten erhielt diese Position.

Gemeinsam mit Mies schuf sie auch für andere Hersteller wegweisende Ausstellungsarchitekturen, wie z. B. den „Glasraum“ für den Verband der Spiegelglasindustrie auf der Stuttgarter Werkbundschau von 1927. Auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 verantwortete sie die Gewerbeausstellung und die Präsentation der deutschen Industrie. 

Seit Ende der 1920er-Jahre entstand außerdem ein umfangreiches möbelkünstlerisches Werk, so auch eine eigene Möbelkollektion aus Stahlrohr. Als Mies, mit dem sie seit 1927 liiert war, 1930 das Direktorat des Bauhauses übernommen hatte, folgte Lilly Reich 1932 als Leiterin der Klasse für Weberei und Innenausbau. 

Während der Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere nach Mies’ Übersiedlung in die USA beklagte Reich zunehmend ihre künstlerische und menschliche Isolation. 1939 wurde sie für die Organisation Todt dienstverpflichtet. 

Nach Kriegsende engagierte sie sich sofort für die Konzeption preiswerter Möbel und Unterkünfte sowie deren Herstellung und Verteilung. Zwei Jahre lehrte sie noch an der Hochschule für bildende Künste in Berlin bevor sie 1947 starb.1Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019, S. 368 f2Christiane Lange, Bauhaus nützlich. Die Avantgarde im Auftrag der Seidenindustrie, in: Lange/Blümm (Hg.), Bauhaus und Textilindustrie. Architektur, Design, Lehre, München 2019, S. 42–79